Wehrpflicht in Deutschland: Kommt die Rückkehr über den Umweg der Freiwilligkeit

Wehrpflicht in Deutschland bleibt ein hochsensibles Thema – und nun hat die Bundesregierung einen neuen Anlauf genommen. Mit dem verabschiedeten Wehrdienstgesetz sollen junge Menschen künftig erfasst, gemustert und über finanzielle Anreize zum freiwilligen Dienst bewegt werden. Eine klassische Wehrpflicht wird zwar weiterhin nicht eingeführt, doch der Mechanismus für eine mögliche Rückkehr ist in den Entwurf eingebaut. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach nach der Kabinettssitzung im Bendlerblock von einem „historischen Schritt“, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nannte das Gesetz einen „Riesenschritt nach vorne“. Über die Kabinettssitzung berichtete Renewz.de unter Berufung auf Tagesschau.
Der Kern der Reform: Ab 2026 müssen alle 18-jährigen Männer online einen Fragebogen beantworten, Frauen können dies freiwillig tun. Geeignete Kandidaten werden zur Musterung eingeladen – ab 2027 verpflichtend für Männer, rund 200.000 pro Jahr. Pistorius erklärte im Deutschlandfunk: „Wir setzen auf Freiwilligkeit, wir bekommen diese Zahlen.“ Bis Ende des Jahrzehnts sollen über 100.000 zusätzliche Wehrdienstleistende ausgebildet werden, die später in der Reserve zur Verfügung stehen. Zielmarke: eine Truppe von 260.000 Soldatinnen und Soldaten.
Kanzler Merz begründete die Pläne mit der sicherheitspolitischen Lage: „Deutschland muss in Europa die größte konventionelle Armee in der NATO stellen.“ Doch es fehlt an Infrastruktur – Kasernen, Ausbildern, Ausrüstung. Die Sitzung fand daher nicht im Kanzleramt, sondern im Verteidigungsministerium statt, in einem abhörsicheren Raum, dem „U-Boot“. Dort berichtete US-General Alexus Gregory Grynkewich, dass Russland „die größte Bedrohung für Frieden und Stabilität in Europa“ bleibe.
Kritik an dem Vorhaben ist groß. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte: „Auf der Basis dieses Gesetzentwurfs wird Deutschland nicht verteidigungsfähig werden.“ Der Reservistenverband beklagte, man bleibe bei 180.000 Soldaten stehen. Präsident Patrick Sensburg sagte dem Bayerischen Rundfunk: „Viele glauben, es gibt jetzt wieder eine Pflicht. Die gibt es nicht. Die einzige Pflicht ist, dass man einen Fragebogen beantworten muss.“ Auch der Bundeswehrverband zeigte sich skeptisch. André Wüstner sagte: „Der Entwurf greift bezogen auf die strategische Herausforderung der Personalgewinnung immer noch zu kurz.“
Zudem formiert sich Protest aus der Zivilgesellschaft. Vor dem Karrierecenter der Bundeswehr in Köln demonstrierten Aktivisten von „Rheinmetall Entwaffnen“. Sprecher Luca Hirsch erklärte: „Wir sind nicht kriegsbereit.“ Für sie ist das Gesetz ein Schritt in die falsche Richtung.
Die Regierung setzt derweil auf Anreize: Der Sold soll künftig bei 2300 Euro netto liegen, es gibt freie Unterkunft und Krankenversicherung. Zudem sollen Qualifikationsmodule, digitale Ausbildungen und Drohnen-Trainings den Dienst attraktiver machen. Pistorius betonte: „Wir werben für Verantwortung, für diesen Dienst am Land.“
Ob freiwillige Maßnahmen ausreichen, bleibt offen. Kanzler Merz deutete an, dass eine echte Wehrpflicht in einigen Jahren zurückkommen könnte, wenn die Zahlen nicht stimmen. Damit ist klar: Die Debatte um die Wehrpflicht in Deutschland ist keineswegs beendet – sondern neu entfacht.
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