Erdoğan schwächt die CHP und umwirbt die Kurden – ein riskanter Machtplan

Die Proteste nach der Verhaftung von Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu reißen nicht ab. Doch hinter der juristischen Fassade entwickelt sich ein weitreichender politischer Plan: Präsident Erdoğan versucht offenbar, die Opposition gezielt zu spalten, um seine Macht bis zur nächsten Wahl zu sichern. Während er die kemalistische CHP massiv unter Druck setzt, öffnet er sich gleichzeitig gegenüber kurdischen Gruppen – darunter auch solchen, die der Regierung bislang als „Terrornähe“ galten. Eine doppelte Strategie mit großen Risiken – für die Demokratie wie für den inneren Frieden des Landes. Darüber berichtet RENEWZ unter Berufung auf Tagesschau.
Ein Friedensprozess mit der PKK?
Der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan rief Ende Februar die kurdischen Kämpfer zur Waffenruhe und Auflösung der Organisation auf. Die türkische Regierung, die gleichzeitig İmamoğlu wegen angeblicher Terrorunterstützung festnehmen ließ, signalisiert nun Dialogbereitschaft gegenüber kurdischen Akteuren. Beobachter sprechen von einem Widerspruch – und zugleich von einem kalkulierten Schachzug Erdoğans: Er wolle einerseits die pro-kurdische Partei DEM für sich gewinnen, andererseits die CHP als stärkste Oppositionskraft destabilisieren.
Erdoğan zwischen Annäherung und Repression
„Präsident Erdoğan befürchtet, bei den nächsten Wahlen seine Mehrheit zu verlieren. Deshalb setzt er auf eine doppelte Strategie: die Kurden umwerben und gleichzeitig die CHP schwächen“, sagt eine politische Beobachterin, die anonym bleiben möchte. Auch Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul bestätigt: „Es ist mit der Machtlogik des Präsidenten vereinbar, dass er den Friedensprozess mit der PKK nutzt, um einen Keil in die Opposition zu treiben.“ Laut Umfragen sind İmamoğlu und Ankaras Bürgermeister Yavaş die größten Rivalen bei der Präsidentschaftswahl 2028.
Politischer Tauschhandel mit der DEM-Partei?
In politischen Kreisen wird über mögliche Zugeständnisse gegenüber der DEM spekuliert – im Gegenzug für deren Unterstützung bei einer Verfassungsänderung oder der vorzeitigen Auflösung des Parlaments. Nur über diesen Weg könnte sich Erdoğan eine dritte Amtszeit sichern. Dabei geht es nicht nur um innenpolitische Macht: Erdoğan wolle auch den Einfluss der Türkei im Nahen Osten, insbesondere in Syrien, neu definieren – so Bartelt.
Das Dilemma der kurdischen Politiker
Für kurdische Vertreter birgt die aktuelle Lage ein Dilemma. Eine scharfe Kritik an der Verhaftung von İmamoğlu könnte als zu große Annäherung an die CHP gewertet werden – und damit mögliche Zugeständnisse an die Kurden gefährden. Laut Beobachtern steht viel auf dem Spiel: Von einer Lockerung der Haftbedingungen für Öcalan über die Freilassung von Selahattin Demirtaş bis hin zur verbindlichen Einführung von Kurdisch als Unterrichtssprache an öffentlichen Schulen. Denkbar wäre sogar ein Verfassungspaket, das sowohl kurdische Rechte stärkt als auch religiös-konservative Themen wie das Kopftuch erneut liberalisiert – ganz im Sinne der AKP.
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