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Mentale Gesundheit in der Krise: Warum so viele sich selbst nicht mehr spüren

Mentale Gesundheit in der Krise: Warum so viele sich selbst nicht mehr spüren

Mai 15, 2025
Monika Schmidt
Mentale Gesundheit gerät immer mehr unter Druck: Warum sich viele Menschen innerlich leer fühlen – und wie 5 praktische Methoden zur Rückverbindung helfen.

Mentale Gesundheit ist keine Randnotiz mehr. Sie ist der wunde Punkt einer Gesellschaft, die scheinbar alles im Griff hat – außer sich selbst. Zwischen Effizienzdruck, ständiger Reizüberflutung und globaler Dauerkrise verlieren immer mehr Menschen die Verbindung zu sich. Was früher als Erschöpfung galt, ist heute ein Zustand kollektiver innerer Abwesenheit.

Man isst, arbeitet, kommuniziert – doch nicht mehr aus sich selbst heraus. Man reagiert. Auf Push-Nachrichten. Auf Erwartungen. Auf äußere Ereignisse, die sich wie ein Sturm über das Innenleben legen. Die Folge: emotionale Taubheit, Identitätsdiffusion, stille Verzweiflung. „Ich funktioniere, aber ich fühle nichts mehr.“

Dieser Satz steht sinnbildlich für eine neue Form des psychischen Ausnahmezustands. Es ist kein Burnout im klassischen Sinn, keine klinische Depression. Es ist ein schleichender Verlust des inneren Kerns – und damit ein Angriff auf das, was uns als Menschen ausmacht.

Wie Renewz.de berichtet, zeigen aktuelle Umfragen, dass sich knapp die Hälfte der jungen Berufstätigen in deutschen Metropolen emotional „abgekoppelt“ fühlt – trotz Karriere, Konsum und Konnektivität.

Zwischen Dauerkrise und Dauerbetrieb

Pandemien, Kriege, Klimawandel, Preisexplosionen – unser Nervensystem ist im Dauerfeuer. Was früher als Ausnahme galt, ist längst Alltag: globale Verunsicherung trifft auf persönlichen Leistungsdruck. Der Mensch reagiert mit Rückzug, Erstarren, innerer Leere.

Der Psychologe Prof. Dr. Thomas Köller vom Institut für moderne Identitätsforschung spricht von einer "entkoppelten Selbstwahrnehmung": „Wir leben in Bewegung, aber ohne Richtung. Das Innenleben ist auf Stand-by geschaltet.“

Wenn nichts mehr echt wirkt

„Ich laufe durch mein Leben wie durch einen schlecht programmierten Film – alles ist da, aber nichts fühlt sich real an“, sagt eine 34-jährige Anwältin aus Frankfurt.

Psychologen nennen diesen Zustand emotionale Entfremdung. Er ist keine Modeerscheinung, sondern eine stille Epidemie. Das Robert Koch-Institut weist in Studien darauf hin, dass 47 % der unter 45-Jährigen Symptome wie emotionale Taubheit, Antriebslosigkeit oder „innere Leere“ erleben – nicht als klassische Depression, sondern als chronischen Identitätsverlust.

Die Rolle der Städte: Verdichtung ohne Verwurzelung

Metropolen wie Berlin, Köln oder Hamburg bieten alles – und nehmen doch oft das Wesentliche: Klarheit, Ruhe, Zugehörigkeit. Wer ständig Input bekommt, hat irgendwann keine Kapazität mehr für Selbstreflexion.

Dr. Jana Reuter, Neurowissenschaftlerin aus München, erklärt: „Das Gehirn ist nicht dafür gemacht, pro Stunde 2000 Reize zu verarbeiten. Die Folge ist eine Art inneres Flimmern – viel Aktivität, wenig Gefühl.“

Zurück zu sich selbst: 5 konkrete Wege mit Methode und Beispiel

Reduktion ist Rettung

Methode: Plane täglich 20 Minuten bewusste Reizarmut ein. Kein Handy, keine Gespräche, kein Podcast. Einfach sitzen, schauen, atmen.

Beispiel: Nora (41) aus Düsseldorf: „Ich habe mir angewöhnt, morgens ohne Handy auf dem Balkon zu sitzen – einfach nur da zu sein. Am Anfang war es unangenehm, aber heute ist es mein wichtigster Moment am Tag.“

Warum es wirkt: Reizarme Momente senken nachweislich den Cortisolspiegel und fördern Selbstkontakt.

Körper statt Kopf

Methode: Integriere täglich 10–20 Minuten achtsame Körperübungen: Barfußlaufen, Stretching, Body-Scan oder freies Tanzen.

Beispiel: Jens (37), Softwareentwickler: „Nach meinem Burnout war mein Körper für mich nur noch ein Werkzeug. Durch sanfte Abenddehnungen habe ich wieder ein Gefühl für mich entwickelt.“

Warum es wirkt: Körpererfahrung verankert Gefühle und holt uns aus der Abstraktion des Alltags.

Kleine echte Entscheidungen

Methode: Triff jeden Tag mindestens eine Entscheidung bewusst – nicht aus Gewohnheit, sondern aus Gefühl. Stelle dir die Frage: Was will ich wirklich?

Beispiel: Marie (29), Marketingberaterin: „Ich habe angefangen, nicht mehr automatisch zu joggen, sondern mich morgens zu fragen, ob ich lieber spazieren möchte. Diese Selbstbefragung hat mein Leben verändert.“

Warum es wirkt: Selbstwirksamkeit ist ein Schlüsselfaktor für mentale Gesundheit und Identitätsstärkung.

Kreativität als Selbstkontakt

Methode: Wähle eine kreative Praxis (Schreiben, Malen, Kochen, Basteln) und nimm dir 2–3 Mal pro Woche 30 Minuten Zeit. Ohne Leistungsdruck, nur für dich.

Beispiel: Tobias (44): „Ich schreibe jeden Abend zwei, drei Sätze – nicht für andere, sondern als inneres Gespräch. Das hat mir geholfen, mich nicht zu verlieren.“

Warum es wirkt: Kreativität aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn und fördert Selbstbindung.

Therapie ist kein Luxus

Methode: Nutze professionelle Begleitung – sei es Psychotherapie, systemisches Coaching oder Gruppengespräche.

Beispiel: Leyla (36): „Ich dachte, ich müsse alles alleine schaffen. Die erste Therapiesitzung war wie ein ehrliches Spiegelbild, das ich lange vermisst hatte.“

Warum es wirkt: Externer Blick, Struktur und Resonanz helfen, die eigene Geschichte wiederzufinden.

Zukunftsorientierte Metropolen wie Kopenhagen oder Amsterdam schaffen gezielt Räume für mentale Regeneration: Meditationszonen, still designte Bibliotheken, Arbeitszeitmodelle mit Pausenkultur. Auch in Deutschland gibt es erste Pilotprojekte: "Stille Zelle" in Hamburg, "Komm wieder bei dir an" in Berlin. Die Idee: Weniger Beschallung, mehr Begegnung mit sich selbst.

Die Welt wird schneller, lauter, komplexer. Aber unser Tempo ist eine Wahl. In einer Gesellschaft, die alles beschleunigt, ist das mutigste Zeichen von Freiheit vielleicht: langsamer zu werden. Und so zurückzufinden zu dem, was wir sind: bewusst lebende Menschen.

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