Berlin im Freizeitfieber: Wie der Wassertourismus ein stilles Ökosystem zerstört

Berlin liebt das Wasser – aber liebt es auch seine Ufer? Während Paddler, Tretboot-Touristen und E-Motorboote Berlins Seen und Flüsse jedes Frühjahr in schwimmende Freizeitparks verwandeln, schlagen Umweltschützer Alarm. Was für manche Entspannung ist, bedeutet für viele Tiere das Ende ihres Lebensraums. Der Senat? Er plant noch mehr davon. Darüber berichtet Renewz.de unter Berufung auf rbb24.
300 Millionen Euro – und das Schilf stirbt
Die Zahl klingt eindrucksvoll: In nur zehn Jahren ist der Umsatz der Wasserfreizeitbranche in Berlin-Brandenburg von 200 auf 300 Millionen Euro gestiegen. Jeder will raus aufs Wasser. Kein Führerschein? Kein Problem. Bis 15 PS darf jeder fahren. Die Stadt wirbt mit Zugänglichkeit – aber verschweigt die Konsequenzen.
Während Boote in der Sonne treiben, stirbt das Ufer leise. Der NABU spricht von „völlig übernutzten Gewässern“. Der Rückgang der sogenannten Röhrichtzonen – also Schilfgürtel und Pflanzen am Ufer – beträgt laut Umweltverbänden über 50 % seit den 1950er Jahren. Für viele Berliner:innen ist das nur Kulisse. Für Wasservögel, Fische und Insekten ist es Überleben.
"Ein Hotspot für Artenvielfalt wird zur Bootsrampe"
Nora Kraatz vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) findet klare Worte:
„Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier mit einem Lebensraum hantieren, der nicht nur dem Menschen gehört.“
Was sie meint: Diese Ufer sind keine bloßen Freizeitflächen. Sie sind natürliche Filter, Kinderstube für Fische, Rastplatz für Vögel. Und sie sind sensibel. Jeder falsche Tritt kann ein Habitat zerstören, jeder Wellenschlag Erosion auslösen.
Am schlimmsten sind die Stellen, an denen immer wieder angelegt wird. Dort zertritt man nicht nur Pflanzen – man beschädigt ein ganzes Ökosystem. Und wer abseits offizieller Stege aussteigt, verursacht sogenannte „Trittschäden“, die sich kaum mehr rückgängig machen lassen.
Wasserschutzpolizei: Viel Verantwortung, wenig Personal
Die Wasserschutzpolizei in Berlin soll kontrollieren, schützen, ordnen. Doch sie ist kaum sichtbar. Von über 27.000 Mitarbeitenden der Berliner Polizei sind nur etwa 170 für den Wasserbereich zuständig. Sie patrouillieren mit teilweise über 50 Jahre alten Booten – auf rund sieben Prozent der Gesamtfläche der Stadt.
Die Bilanz 2024
- 343 Umweltordnungswidrigkeiten
- 72 Gewässerverunreinigungen
- 40 Fälle von Fischwilderei
- 15 Verstöße gegen das Naturschutzgesetz
Wie viele Verstöße unerkannt bleiben? Unklar. Eine belastbare Statistik über die Entwicklung liefert die Behörde nicht. Auch nicht auf Nachfrage.
Und der Senat? Er will mehr Wassertourismus
Trotz der ökologischen Schäden plant die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) den Ausbau. Im Herbst 2024 wurde ein zehnjähriges Konzept beschlossen: Mehr Stege, mehr Liegeplätze, neue Ladepunkte für E-Boote. Und eine Kampagne, die Berlin gezielt als Ziel für Wassertourismus vermarktet.
Für die Umweltverbände ist das ein fatales Signal. Die Allianz „Wassernetz Berlin“, der auch NABU und BLN angehören, kritisiert: Viele Fragen des Naturschutzes seien weiter ungeklärt. Sie wurden laut eigener Aussage nur unzureichend in die Entwicklung eingebunden.
Die Senatsverwaltung widerspricht: Man habe Vertreter eingeladen, es habe Fokusgespräche gegeben. Doch das reicht nicht, sagen Kritiker. Beteiligung heiße nicht, einmal zuhören. Beteiligung bedeute, mitentscheiden.
Außenbezirke als neue Frontlinie
Ein zentrales Ziel des neuen Senatskonzepts: die Verlagerung des Wassertourismus in die Außenbezirke. Orte wie Köpenick, Spandau oder Reinickendorf sollen die wachsenden Besucherströme aufnehmen. Weg vom überfüllten Landwehrkanal – hin zum Müggelsee.
Doch das Problem verlagert sich nur. Auch dort gibt es sensible Zonen, Röhricht, Brutplätze. "Wir brauchen nicht mehr Stege – wir brauchen mehr Schutzräume", fordert Kraatz vom NABU.
Bußgelder beim Bootfahren in Berlin – Übersicht wichtiger Verbote

Verstoß | Beschreibung | Bußgeldrahmen |
---|---|---|
Anlegen im Schilf oder Röhricht | Verboten wegen Schutz von Uferpflanzen, Lebensraum für Vögel und Fische | bis 5.000 € |
Durchfahren von Seerosenfeldern | Seerosen gelten als empfindliche Wasserpflanzen, teils streng geschützt | 100–500 € |
Aussteigen außerhalb öffentlicher Stege | Führt zu Trittschäden und Erosion in Uferzonen | bis 1.000 € |
Laute Musik auf dem Wasser | Ruhestörung gemäß § 117 OWiG, besonders in Wohn- oder Schutzgebieten | 100–1.000 € |
Müllentsorgung ins Gewässer | Umweltverunreinigung nach WHG § 324, u. a. bei Plastik, Flaschen, Zigaretten | bis 50.000 € |
Ableiten von Toilettenabwasser ins Wasser | Strafbar gemäß § 324 StGB (vorsätzliche Gewässerverunreinigung) | bis 100.000 € oder Anzeige |
Fahren in Naturschutzgebieten ohne Erlaubnis | Gilt z. B. für Teile des Müggelsees, der Havel oder Seen im Umland | 500–2.500 € |
Berlin droht seine Wasser-Identität zu verlieren
Die Stadt preist ihre Gewässer als Rückzugsort – und opfert sie gleichzeitig der Vermarktung. Der Spagat zwischen Freizeit und Naturschutz gelingt derzeit nicht. Die Kontrolle ist schwach, die Strategie unausgereift, die Stimme der Natur zu leise.
Wenn Berlin wirklich nachhaltig sein will, muss es aufhören, Natur als Ressource zu begreifen. Und anfangen, sie als Mitbewohnerin zu behandeln. Die Stadt hat viele Baustellen – aber das Wasser ist die leise, die keine Schlagzeilen macht. Und genau deshalb droht sie verloren zu gehen.
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