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München: Wie Betrüger mit Bots Geflüchtete bei Terminen ausnutzen

München: Wie Betrüger mit Bots Geflüchtete bei Terminen ausnutzen

März 22, 2025
Monika Schmidt
In München nutzen Betrüger Bots, um Migrantinnen und Migranten kostenpflichtige Termine anzubieten – und verdienen an ihrer Notlage mit.

In der Servicestelle für Zuwanderung und Einbürgerung beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) der Stadt München eskaliert ein digitales Problem mit sozialer Tragweite: Notfalltermine, die täglich über ein Online-System vergeben werden und eigentlich kostenfrei und niedrigschwellig zugänglich sein sollen, werden von automatisierten Bots aufgekauft und später über Plattformen wie Telegram und Reddit weiterverkauft – meist an Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen.

Die Redaktion von RENEWZ  berichtet darüber und verweist auf eine umfassende Recherche von tz.de, die in Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen Jugendnetzwerk funk (ARD und ZDF) veröffentlicht wurde.

Die Masche: Aus Not wird ein Geschäftsmodell

Wer in München lebt und einen Termin beim KVR benötigt – etwa zur Verlängerung des Aufenthaltstitels, Einbürgerung oder für Unterlagen als Fachkraft – weiß: Freie Termine sind extrem rar und schnell vergriffen.

Bots, also automatisierte Computerprogramme, durchforsten das System in Echtzeit und reservieren die Termine innerhalb von Sekunden nach Freischaltung. Anschließend werden sie gezielt an Bedürftige weiterverkauft, zum Beispiel über Kanäle wie „KVRBot“ oder „KVRTerminBot“ auf Telegram. Auch auf der Plattform Reddit finden sich entsprechende Angebote.

Eine Person aus Indien schilderte gegenüber funk, dass sie nach tagelanger, erfolgloser Suche auf Reddit und Telegram auf ein Angebot stieß: Für 20 US-Dollar bekam sie einen Termin – und tatsächlich eine gültige Bestätigung. Damit konnte sie das Amt aufsuchen. Sie zahlte freiwillig, weil sie keine andere Möglichkeit sah.

Recherchen bestätigen die Existenz illegaler Angebote

Wie Hallo München berichtet, finden sich auf Telegram zahlreiche Kanäle, die offenbar systematisch KVR-Termine anbieten – mit oder ohne Bezahlung. In einzelnen Reddit-Foren (sogenannten Subreddits) geben User auch Hinweise zu frei werdenden Terminen, verlinken Programme oder Alarmdienste.

Doch der Grat zwischen technischer Hilfe und gezieltem Betrug ist schmal. Und die Zahl der Betroffenen wächst.

Offizielle Bestätigung: KVR kennt das Problem

Hallo München berichtet, hat das Kreisverwaltungsreferat bestätigt, dass das Problem seit einiger Zeit bekannt ist. Eine Sprecherin erklärte:

„Es handelt sich ausschließlich um Notfalltermine in der Servicestelle für Zuwanderung und Einbürgerung, vor allem im Bereich von Fachkräften und Studierenden. Die Buchung erfolgt tagesaktuell. Zuletzt wurden etwa 30 Termine pro Monat durch Bots reserviert.“

Unklar ist, ob jeder dieser Termine tatsächlich weiterverkauft wurde. Es kommt offenbar auch zu sogenannten „No-shows“, also gebuchten, aber nicht wahrgenommenen Terminen.

Maßnahmen gegen Bot-Buchungen: Captcha, Sperren, Polizeimeldung

Das KVR sowie das städtische IT-Referat haben bereits mehrere Gegenmaßnahmen eingeleitet:

  • Das Buchungssystem wurde technisch überarbeitet, um automatisierte Zugriffe zu erschweren.
  • Mehrstufige Captcha-Abfragen wurden eingeführt und regelmäßig verändert.
  • IP-Adressen von Bot-Betreibern werden blockiert.
  • Eine Begrenzung der Terminanzahl pro E-Mail-Adresse soll Missbrauch verhindern.
  • Nachträgliche Änderungen von Buchungsdaten sind nicht mehr möglich – damit können Termine schwerer weiterverkauft werden.

Die Sprecherin erklärte weiter:

„Jede Maßnahme zeigt Wirkung, aber auch die Bots werden stetig weiterentwickelt. Weitere technische Anpassungen sind in Arbeit.“

Polizei ermittelt – das KVR geht gezielt gegen Angebote vor

Zusätzlich sucht das KVR aktiv nach illegal angebotenen Terminen auf Telegram und in Online-Foren. Alle dort entdeckten Fälle werden dem Polizeipräsidium München zur Anzeige gebracht.

Außerdem wird auf den Buchungsseiten sowie auf Bildschirmen in den Wartebereichen vor Ort deutlich vor kostenpflichtigen Angeboten gewarnt.
Wer in einer echten Notlage steckt, kann die offizielle Notfall-Hotline des KVR nutzen, insbesondere wenn ein Aufenthaltstitel bald abläuft.

CSU im Stadtrat fordert Aufklärung

In einer offiziellen Anfrage vom 20. März 2025 forderte die Stadtratsfraktion CSU/Freie Wähler Aufklärung:

  • Seit wann weiß die KVR-Spitze von den Vorgängen?
  • Welche Maßnahmen wurden bereits ergriffen?
  • Warum gelang es bisher nicht, das Problem wirksam zu bekämpfen?

Fraktionsvorsitzender Manuel Pretzl (CSU) kritisierte deutlich:

„Die Online-Terminvergabe soll es leichter machen, einen Termin zu bekommen – nicht teurer. Solche Machenschaften schaden massiv dem Ruf unserer Stadt.“

Zeitlich brisant: Razzia in derselben Behörde

Besonders heikel: Die Enthüllungen über den Bot-Betrug fallen kurz nach einer Razzia in derselben Behörde. Erst vergangene Woche wurden mehrere Mitarbeitende der Ausländerbehörde festgenommen – wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit und Urkundenfälschung.

Laut Staatsanwaltschaft sollen ausländerrechtliche Genehmigungen gegen Geld ausgestellt worden sein. Fünf Personen befinden sich in Untersuchungshaft, eine Beschuldigte wurde inzwischen wieder entlassen.

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Bild von tz.de-© dpa/Leonie Asendorpf

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