Warum plant Bayern einen milliardenschweren Microsoft-Cloud-Deal ohne Ausschreibung

Die bayerische Staatsregierung steht wegen eines geplanten Rahmenvertrags mit Microsoft im Umfang von nahezu einer Milliarde Euro erheblich unter Druck. Das Vorhaben sieht vor, Microsoft 365 sowie cloudbasierte Dienste flächendeckend in der bayerischen Verwaltung einzusetzen – über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren. Besonders umstritten ist, dass der Vertrag ohne vorherige öffentliche Ausschreibung vorbereitet wird. Die Entscheidung fällt in eine Phase angespannter Haushaltslagen, in der zugleich mehrere familienpolitische Leistungen gestrichen wurden, darunter das angekündigte Kinderstartgeld sowie Zuschüsse für Neugeborene. Eine Petition gegen den Cloud-Deal wurde bislang von rund 144.000 Menschen unterzeichnet. Darüber berichtet Renewz.de unter Berufung auf Recherchen von heise online.
Wissenschaft und IT-Experten fordern Verhandlungsstopp
Deutliche Kritik kommt aus der Wissenschaft und der IT-Fachwelt. In einem dringlichen Appell forderte Professor Harald Wehnes von der Universität Würzburg die Staatsregierung auf, die Verhandlungen mit Microsoft sofort auszusetzen. Wehnes ist Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises „Digitale Souveränität“ der Gesellschaft für Informatik (GI).
In dem Schreiben, das an Ministerpräsident Markus Söder sowie an den Finanz- und Digitalminister gerichtet ist, warnen Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor einem strategisch kaum kalkulierbaren Risiko für die digitale Handlungsfähigkeit des Freistaats Bayern. Kritisiert wird insbesondere, dass zentrale Verwaltungsprozesse und sensible Daten von einem einzelnen, außereuropäischen Anbieter abhängig gemacht würden.
Abhängigkeit von US-Anbietern rückt in den Fokus

Zusätzliche Brisanz erhält der Vorgang durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, denen US-amerikanische Cloud-Anbieter unterliegen. Unternehmen wie Microsoft sind an die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten gebunden, was im Konfliktfall oder bei politischen Spannungen Zugriffs- und Kontrollfragen aufwerfen kann.
Kritiker warnen davor, dass eine langfristige Bindung an einen US-Hyperscaler die Handlungsfreiheit der öffentlichen Verwaltung einschränken könnte. Die Sorge gilt dabei weniger dem aktuellen Betrieb als den möglichen Folgen in Krisen- oder Ausnahmesituationen, in denen staatliche Stellen auf volle Kontrolle über ihre IT-Infrastruktur angewiesen sind.
Empfehlung: Orientierung am EU-Rahmen für souveräne Clouds
Der Fachbereich Sicherheit der Gesellschaft für Informatik empfiehlt, geplante Cloud-Verträge konsequent an den Kriterien des EU-Rahmenwerks für souveräne Cloud-Dienste auszurichten. Dieses fordert unter anderem:
- rechtliche und technische Kontrolle innerhalb der EU,
- Transparenz bei Datenverarbeitung und Zugriffsrechten,
- Vermeidung von langfristigem Vendor-Lock-in,
- Stärkung der strategischen Resilienz öffentlicher IT-Systeme.
GI-Sprecher Daniel Loebenberger warnt davor, kurzfristige Effizienzgewinne über langfristige Risiken zu stellen:
„Pragmatische Lösungen dürfen nicht in Abhängigkeiten führen, die sich im Ernstfall nicht mehr steuern lassen.“
Kritik aus der bayerischen IT-Wirtschaft
Auch Vertreter der bayerischen IT-Wirtschaft sowie der Open-Source-Community äußern deutliche Vorbehalte. In einem offenen Brief warnen sie vor einem Abfluss öffentlicher Gelder ohne regionale Wertschöpfung und vor der faktischen Ausschaltung des Wettbewerbs. Ein Auftrag dieser Größenordnung ohne Ausschreibung widerspreche sowohl den Zielen der EU-Kommission als auch den Grundprinzipien des deutschen und europäischen Vergaberechts.
Zudem bestehe die Gefahr, europäische Anbieter systematisch zu benachteiligen und staatliche Stellen dauerhaft an einen einzelnen Technologiekonzern zu binden. Stattdessen fordern die Unterzeichner einen transparenten Eigenaufbau staatlicher IT-Kompetenzen sowie die konsequente Prüfung europäischer und Open-Source-basierter Alternativen.
Politischer Testfall für digitale Souveränität
Der geplante Microsoft-Vertrag hat sich inzwischen zu einem politischen Testfall für digitale Souveränität entwickelt. Beobachter sehen in der Entscheidung eine Weichenstellung, die über Bayern hinaus Signalwirkung für andere Bundesländer haben könnte. Ob die Staatsregierung an dem Vorhaben festhält oder auf den wachsenden Widerstand reagiert, dürfte maßgeblich beeinflussen, wie Deutschland künftig mit kritischer digitaler Infrastruktur im öffentlichen Sektor umgeht.
Bleiben Sie informiert! Lesen Sie auch: Alexa Super-Modus: Kann der Konami-Code im Amazon Echo wirklich versteckte Vorteile freischalten