Der BGH und das FernUSG: Das drohende Desaster für E-Learning in Deutschland

Die digitale Bildungslandschaft in Deutschland erlebt eine massive Erschütterung durch eine Reihe von Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH). Diese Entscheidungen unterwerfen nahezu alle Formen von Online-Kursen und E-Learning den strengen Regularien des veralteten Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) aus dem Jahr 1976. Was als notwendiger Schutz vor unseriösen Coaching-Anbietern gedacht war, entwickelt sich für seriöse Fortbildungsanbieter zu einer existenzbedrohenden Krise, da Verträge ohne behördliche Zulassung der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) als von Anfang an nichtig gelten. Die Konsequenz: Teilnehmer können bereits bezahlte Kursgebühren vollständig zurückfordern, selbst wenn die Leistung komplett erbracht und genutzt wurde.Wie die Redaktion Renewz.de berichtet.
Die weitreichenden Folgen der BGH-Rechtsprechung
Das Problem ist mit den Urteilen vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24 und III ZR 173/24) auf dramatische Weise zutage getreten. Der BGH hat in diesen Fällen klargestellt, dass die Verträge über Online-Mentoring- und E-Commerce-Programme nichtig sind, weil die Anbieter die nach $\S$ 7 Abs. 1 FernUSG zwingend erforderliche staatliche Zulassung der ZFU nicht besaßen. Die weitreichendste Konsequenz für Anbieter ist der vollständige Verlust jeglicher Vergütungsansprüche, selbst bei vollem Erhalt der Leistung durch den Teilnehmer. Experten sprechen von einer massiven Gefahr, da Teilnehmer nun die Möglichkeit haben, ihre gesamten Kursgebühren rückwirkend zurückzufordern, was selbst seriöse Unternehmen, die in gutem Glauben handelten, in ihrer Existenz bedroht. Die Urteile betonen zudem, dass die Regelungen des FernUSG nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Verträge gelten, die Unternehmer zu gewerblichen Zwecken abschließen.
| Kernaussage BGH-Urteile (Juni 2025) | Auswirkungen auf Online-Anbieter |
| Verträge ohne ZFU-Zulassung sind nichtig ($\S$ 7 Abs. 1 FernUSG) | Anbieter verlieren Anspruch auf gesamte Vergütung |
| Gilt auch für B2B-Verträge und Selbstständige | Erweiterter Anwendungsbereich über klassischen Verbraucherschutz hinaus |
| Weite Auslegung der Kriterien für "Fernunterricht" | Fast alle digitalen Fortbildungen betroffen |
| Teilnehmer können volle Gebühr zurückfordern | Massive Rückforderungswelle droht |
Merkmale des Fernunterrichts: Eine extensive Auslegung
Der Anwendungsbereich des FernUSG hängt von drei zentralen Merkmalen ab, die die Richter in Karlsruhe nun extrem weit auslegen. Dem Gesetz zufolge liegt Fernunterricht vor, wenn die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten erfolgt, eine überwiegend räumliche Trennung zwischen Lehrendem und Lernendem gegeben ist und der Lernerfolg überwacht wird. Während das erste Kriterium bei nahezu allen entgeltlichen Online-Kursen erfüllt ist, sorgt die Auslegung der beiden anderen Punkte für große Unsicherheit. Insbesondere die digitale Realität, in der Live-Webinare oft aufgezeichnet und zum zeitversetzten Abruf bereitgestellt werden, führt nach Ansicht des BGH zur Bejahung der räumlichen Trennung, da die synchrone Teilnahme dadurch "entbehrlich" gemacht wird.
Noch absurder erscheint die Definition der "Überwachung des Lernerfolgs". Früher waren damit benotete Prüfungen oder verpflichtende Tests gemeint, die der Teilnehmer zur Korrektur einsenden musste. Nach der aktuellen Rechtsprechung liegt eine Lernerfolgskontrolle jedoch bereits dann vor, wenn dem Teilnehmer die bloße Möglichkeit eröffnet wird, inhaltliche Fragen zu stellen, sei es in einem Chat, einem Forum oder einem Live-Q&A. Die Argumentation: Ein Dozent könne aus Rückfragen Rückschlüsse auf den Lernstand ziehen. Diese extreme Auslegung bedeutet, dass jeder betreute Online-Kurs, der Interaktion oder Feedback ermöglicht, unter die Zulassungspflicht fällt. Der Bundesverband der Fernstudienanbieter begrüßt zwar die Klarheit, aber die Branche fordert eine zeitgemäßere Definition der Kriterien.
Die ZFU-Zulassung: Bürokratie und hohe Kosten als Innovationsbremse
Die vermeintliche Lösung, eine ZFU-Zulassung zu beantragen, entpuppt sich für die meisten Anbieter als kostspielige und bürokratische Hürde. Es muss nicht das Unternehmen, sondern jeder einzelne Kurs zugelassen werden, was kleine Anbieter und Soloselbstständige vor massive Probleme stellt. Die Gebührenstruktur ist prohibitiv: Sie beträgt 150 Prozent des Netto-Kurspreises, mindestens jedoch 1050 Euro pro Kurs. Bei einem Fünftage-IT-Workshop für netto 2500 Euro fallen beispielsweise 3750 Euro allein für die behördliche Zulassung an. Der zeitliche Aufwand kommt hinzu, da Antragsteller von Wartezeiten zwischen drei und neun Monaten berichten und umfassende didaktische Konzepte, Lernmaterialien und Vertragsunterlagen zur Prüfung eingereicht werden müssen.

Zulassungshindernisse im Detail
- Hohe Gebühren: 150% des Netto-Kurspreises, mindestens $1050$ Euro pro Kurs. Bei vorläufiger Zulassung: $200\%$ des Preises.
- Kursbezogene Zulassung: Nicht das Unternehmen, sondern jeder einzelne Lehrgang benötigt eine eigene, kostenpflichtige Genehmigung.
- Lange Wartezeiten: Berichtet werden Zeitspannen von drei bis zu neun Monaten bis zur finalen Zulassung.
- Kostenpflichtige Änderungsprüfung: "Wesentliche Änderungen" am Kurs (z. B. neue Rechtslage, Updates, neue Module) erfordern eine erneute, $50\%$ der Erstgebühr kostende Prüfung (mindestens $525$ Euro).
Darüber hinaus basiert das ZFU-Verfahren auf einem statischen Modell, das der Agilität moderner, insbesondere im schnelllebigen IT-Bereich notwendiger Kurse nicht gerecht wird. Jede Aktualisierung, die in der digitalen Welt zur Norm gehört, würde eine erneute und langwierige Prüfung erfordern. Die Folge: Anbieter müssten entweder ihr Angebot aktiv verschlechtern, indem sie auf Aufzeichnungen, Feedback oder Interaktion verzichten, oder monatelang auf die Genehmigung wichtiger Updates warten. Das widerspricht dem Grundgedanken einer qualitativ hochwertigen und aktuellen Weiterbildung.
Ein Appell an den Gesetzgeber: Notbremsung für die digitale Bildung
Die aktuelle Rechtslage ist ein gravierendes Problem, das über die Regulierung des unseriösen Coaching-Marktes hinausgeht und den Bildungsstandort Deutschland in seiner Wettbewerbsfähigkeit schwächt. Der BGH setzt mit seiner extensiven Auslegung des FernUSG ein Signal, das die gesamte Branche der beruflichen Weiterbildung betrifft. Es drohen nicht nur existenzielle Gefahren für Anbieter durch Rückforderungen von Teilnehmern, sondern auch eine Verlangsamung der notwendigen digitalen Qualifizierung von Fachkräften.
Die Bundesregierung hat zwar im Koalitionsvertrag eine Modernisierung des FernUSG zur Verbesserung von Qualität und Transparenz im Bereich der digitalen Weiterbildung angekündigt. Doch trotz dieser politischen Zusage und der Forderungen der gesamten Bildungsbranche sowie des Deutschen Normenkontrollrats, der sogar eine vollständige Abschaffung des Gesetzes anregt, sind bislang keine konkreten Schritte zur schnellen Entschärfung der Lage erfolgt. Experten fordern eine zeitnahe legislative Notbremsung, um die Rechtsunsicherheit zu beenden. Es braucht pragmatische Lösungen und eine neue gesetzliche Grundlage, die die Realitäten des digitalen Lernens im Jahr 2025 abbildet und nicht länger auf einem Gesetz aus dem analogen Zeitalter basiert.
Die derzeitige Situation schützt Teilnehmer nur bedingt vor schlechten Kursen, während sie gleichzeitig dazu einlädt, die Zahlung für vollständig erbrachte, seriöse Leistungen legal zu verweigern. Dieses Ungleichgewicht muss dringend korrigiert werden.
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