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EU-Emissionshandel reformieren: Chemie-Bosse warnen vor Deindustrialisierung

EU-Emissionshandel reformieren: Chemie-Bosse warnen vor Deindustrialisierung

November 7, 2025
James Whitmore
EU-Emissionshandel Reform gefordert. Topmanager der deutschen Chemie (BASF, Lanxess) warnen vor dem Ende der Industrie. Analyse der CBAM-Problematik und CO₂-Kosten 2025.

Chemie-Vorstandschefs der größten deutschen Konzerne fordern angesichts massiv steigender Kosten und anhaltender Wettbewerbsnachteile eine tiefgreifende Reform des europäischen CO₂-Emissionshandels (EU-ETS). Dieses zentrale Instrument der europäischen Klimapolitik, das den Ausstoß von Treibhausgasen bepreisen soll, wird von der energieintensiven Chemiebranche zunehmend als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Die deutsche chemische Industrie, die für die Basischemikalien und Grundstoffe der gesamten europäischen Fertigungskette verantwortlich ist, sieht sich bereits seit geraumer Zeit mit einer Welle von Anlagenschließungen konfrontiert. Hohe Energiepreise und eine schwache Binnennachfrage verschärfen die Situation zusätzlich, was die Spitzenmanager zu drastischen Appellen an die Politik in Berlin und Brüssel bewegt. Laut internen Schätzungen der BASF werden die CO₂-Kosten bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts auf annähernd eine Milliarde Euro pro Jahr steigen, eine Belastung, die Konkurrenten in den USA und Asien nicht tragen müssen. Wie die Redaktion Glueckid.DE berichtet, sehen die Manager im EU-ETS ein System, das in seiner aktuellen Form die Wettbewerbsfähigkeit Europas massiv untergräbt.Wie die Redaktion Renewz.de mit Verweis auf Handelsblatt.

Die drastische Forderung: Warum der Emissionshandel die Schließungswelle verstärkt

Die Forderung nach einer drastischen Reform des europäischen Emissionshandels entzündet sich an den ökonomischen Realitäten, die eine Fortsetzung der Produktion in Europa zusehends unrentabel machen. Lanxess-Chef Matthias Zachert warnte bei der Vorlage der Quartalsergebnisse seines MDax-Konzerns am Donnerstag (06.11.2025) eindringlich davor, dass ohne substanzielle Änderungen die Welle der Anlagenschließungen in Europa weiter zunehmen werde. Die energieintensive Basischemie, die unverzichtbare Grundstoffe für andere Industrien liefert, ist aufgrund schwacher Nachfrage und niedriger Weltmarktpreise bereits stark angeschlagen. Seit Frühsommer hat die Zahl der Standortschließungen in der Chemie deutlich zugenommen, wobei mehr als 20 Standorte betroffen sind. Zachert appellierte direkt an die politischen Entscheidungsträger: „Die Deindustrialisierung ist in den energieintensiven Bereichen längst im Gange. Schützt endlich unsere Industrie!“. Für Führungskräfte wie Zachert ist die Fortsetzung des EU-ETS in seiner aktuellen Form nicht tragbar, was die Bereitschaft zu radikalen Lösungen, einschließlich der Abschaffung des Systems, erklärt, sollte Brüssel sich erneut im Kleingedruckten verheddern.

Dieses Ungleichgewicht zwischen den europäischen CO₂-Kosten und den geringeren oder nicht vorhandenen Kosten der globalen Wettbewerber ist der Kern des Problems für die Branche.

Die Industrie steht vor dem zusätzlichen Problem, dass eine eigentlich geplante Verschärfung und Verteuerung des Emissionshandels im kommenden Jahr droht, auch wenn sich die EU zumindest auf Ministerebene auf eine Verlängerung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten über 2026 hinaus geeinigt hat. Für Topmanager wie Christian Kullmann von Evonik sind jedoch auch weiterhin kostenlose Zertifikate nur ein erster, unzureichender Schritt. Es bedarf einer tiefgreifenden systemischen Anpassung an die globale Wirtschaftslage, um die Existenz deutscher und europäischer Chemieunternehmen zu sichern.

UnternehmenPosition zum EU-ETSKernargumentation
Lanxess (Zachert)Fordert drastische Reform / notfalls AbschaffungSchließungswelle der Anlagen aufgrund zu hoher Kosten.
BASF (Kamieth)System nicht mehr zeitgemäßFehlsteuerung durch CBAM führt zu Wettbewerbsnachteil beim Export.
Covestro (Steilemann)Gegen Abschaffung, für AnpassungSystem hat zur CO₂-Senkung beigetragen, muss aber realistisch angepasst werden.
Evonik (Kullmann)Fordert deutliche EntlastungKostenlose Zertifikate sind nur ein erster Schritt, keine Lösung.

CBAM-Fehlsteuerung: Der Wettbewerbsnachteil beim Export

Ein zentrales Argument gegen die aktuelle Ausgestaltung des Emissionshandels, insbesondere von BASF-Chef Markus Kamieth, richtet sich gegen die Fehlsteuerung des sogenannten CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism), der ab 2026 umfangreich in der EU in Kraft treten soll. Das CBAM ist so konzipiert, dass Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten, die CO₂-intensive Produkte wie Zement, Stahl, Aluminium, Dünger oder Chemikalien in die EU einführen, einen Ausgleich in Höhe der CO₂-Kosten zahlen müssen, die europäische Hersteller tragen. Dies soll das sogenannte Carbon Leakage verhindern, also die Verlagerung der Produktion in Länder mit laxeren Klimaschutzbestimmungen. Das Problem, das Kamieth und andere Manager sehen, liegt jedoch darin, dass CBAM im Moment keine Regelung für den Export vorsieht. Europäische Hersteller, die ihre Produkte außerhalb der EU verkaufen, müssen die vollen europäischen CO₂-Kosten tragen, während Importeure diese Kosten am Zoll entrichten müssen.

Dieser Mangel an Exportkompensation schafft einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für europäische Hersteller auf dem Weltmarkt.

Das Centre for European Policy (CEP) schätzt die Dimension dieses Problems: Jährlich werden Brüsseler Kompensationszahlungen in Milliardenhöhe erforderlich sein, um die Nachteile europäischer Unternehmen beim Verkauf ihrer Produkte außerhalb der EU auszugleichen. Die CEP-Studie betont, dass dem hohen finanziellen Aufwand für Europa lediglich ein geringer Nutzen in Form globaler Emissionsersparnis gegenübersteht. Die Kosten, die beispielsweise der BASF-Konzern intern bis zum Ende der nächsten Dekade auf annähernd eine Milliarde Euro taxiert, könnten in den USA und Asien vermieden werden. Das Kernthema ist somit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, die durch die asymmetrische Ausgestaltung des CBAM massiv leidet.

Die Gefahr des Carbon Leakage

Ohne eine effektive Korrektur des CBAM für Exportprodukte droht die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, was dem eigentlichen Ziel des Emissionshandels zuwiderläuft.

Notwendigkeit der Exportkompensation

Experten und Topmanager fordern daher eine zügige Lösung für eine Kompensation von CO₂-Kosten beim Export, um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu sichern und die Deindustrialisierung Europas zu stoppen.

Die China-Problematik und die Notwendigkeit der sofortigen Gratiszuteilung

Die Krise der europäischen Chemieindustrie wird nicht nur durch den Emissionshandel, sondern auch massiv durch die anhaltenden Billigimporte aus China verschärft. China verfügt über hohe Überkapazitäten in der Chemieproduktion und exportiert diese Produkte bevorzugt nach Europa. Dies liegt daran, dass in den USA Zölle auf chinesische Waren anfallen, während Europa zu niedrigeren Preisen als Absatzmarkt dient. Lanxess-Chef Zachert fordert daher eine Ausweitung der Antidumpingverfahren der EU, um der unfaireren Preisgestaltung chinesischer Konkurrenzprodukte entgegenzuwirken. Bei zwei Produkten seines eigenen Konzerns hätten solche Verfahren bereits stattgefunden. Ein weiteres Problem ist der ökologische Aspekt: Die in China oft mit Kohlestrom hergestellten Chemikalien sind selbst umweltschädlicher als die europäischen Produkte.

Der Import von umweltschädlicherer Chemie aus China konterkariert die europäischen Klimaschutzbemühungen.

Um den Chemieunternehmen kurzfristig Planungssicherheit zu geben und die Wettbewerbsfähigkeit zu stabilisieren, fordern die Manager die umgehende und verlässliche Umsetzung der von der EU avisierten weiteren kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten. Covestro-Chef Markus Steilemann unterstreicht die Wichtigkeit dieser Planungssicherheit. Auch Wissenschaftler wie Felix Matthes, einer der Vordenker des Emissionshandels beim Öko-Institut, halten eine Fortführung der kostenlosen Zuteilung für sinnvoll und akzeptabel, solange keine effektiven Schutzmaßnahmen für Unternehmen existieren. Bernhard Lorentz von Deloitte stimmt zu und sieht die Gratisregelung so lange als notwendig an, bis der CBAM verlässlich und fair funktioniert.

Gefahren durch chinesische Billigimporte:

  1. Verkauf zu Niedrigpreisen aufgrund von Überkapazitäten.
  2. Umweltschädlichere Produktion (Kohlestrom-Einsatz in China).
  3. Verschärfung der wirtschaftlichen Krise der europäischen Basischemie.

Die chemische Industrie in Deutschland steht an einem kritischen Punkt, an dem die Ambitionen des europäischen Klimaschutzes mit den wirtschaftlichen Realitäten des globalen Wettbewerbs kollidieren. Die Forderungen der Topmanager nach einer substanziellen Reform des EU-Emissionshandels und einer sofortigen Lösung für die CBAM-Exportproblematik sind ein dringender Appell, die Deindustrialisierung Europas zu verhindern. Die Verlängerung der Gratiszertifikate ist nur ein temporäres Trostpflaster, während eine systemische Anpassung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich ist.

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